Ein Selfie geht um die Welt

Ich sehe seit gut zehn Jahren nicht mehr fern, weil ich es ablehne, mir von gefühlstriefenden, sorgfältig für eben diesen Zweck ausgesuchten und instrumentalisierten Wirklichkeitsschnipseln das Lenkrad rationalen Denkens aus der Hand nehmen zu lassen. Selbst Bildberichterstattung ist problematisch, wenn man bedenkt, dass Menschen vor allem leicht erregbare Augentiere sind und schon ein clever gewählter Ausschnitt die Wirklichkeit auf den Kopf stellen kann.

Was passiert, wenn eine Frau, die sich zwar als gute Macht-Architektin erwiesen hat, aber offensichtlich nicht versteht, was zwangsläufig geschieht, wenn Netzwerkeffekte, Globalisierung und unerfüllbare Erwartungen aufeinander treffen, beschreibt Roland Tichy hier.

Die Firma. Ein Rant.

Ich arbeite regelmäßig mit den Produkten einer großen amerikanischen Softwarefirma (nein, nicht diese. – die andere).

Ich benutze die Softwareprodukte dieser Firma nicht, weil ich sie besonders schätze. Tatsächlich sind die betreffenden Programme überwiegend barock, unnötig kompliziert, unglaublich ressourcenhungrig und konzeptionell in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts verwurzelt. Wer ein Museum staubiger Benutzeroberflächen durchwandern möchte, lädt sich einfach die Demo eines beliebigen Produkts der Firma herunter.

Normalweise würde ein einziges der genannten Ärgernisse ausreichen, damit ich mich nach moderneren, eleganteren und stabileren Alternativen umsehe. Hier jedoch sind alle Nöte und Klagen samt und sonders irrelevant. Ich muss die Produkte der Firma verwenden, weil sie in meiner Branche als Quasi-Standard gelten. Wer etwas anderes verwendet, gilt bestenfalls als schrullig; schlimmstenfalls verpasst er wichtige Aufträge oder muss bei Formatproblemen gerade stehen – selbst dann, wenn ein Produkt der Quasi-Standard-setzenden Firma Schuld am Murks trägt. Recht hat, wer über 90 % Marktanteil gebietet – das ist auch in dieser Branche nicht anders.

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Nicht beschützt werden wollen.

Ursula von der Leyen hat (nachdem es ihr nicht so recht gelang, aus .de mit Stoppschildern ein schöneres Land zu machen und auch andere Zielgruppen sich mit einer gewissen Hartnäckigkeit gegen Supernanny-Umarmungen zur Wehr setzen) ein neues Betätigungsfeld für sich entdeckt: Die Selbstständigen sollen vor dem grauenvollen Elend, das hinter jeder Ecke lauert (unternehmerische Risiken! Verarmen! Älter werden! ) nun mit staatlicher Unterstützung geschützt werden. Einzahlen dürfen wir natürlich selbst (in ein System, dessen Grenzen auch ohne dieses von praktisch niemandem gewollte add-on schon überdeutlich sind), für den erforderlichen pädagogischen Druck auf die schwer einzuherdenden Kätzchen sorgt jedoch gerne der Gesetzgeber.

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Bekenntnisse eines Spießers

Ich kam vor beinahe zwölf Jahren nach Berlin – aus Verhältnissen, die ich als xenophob und kreuzlangweilig empfand. Berlin aber versprach Freiheitsgrade. Wie viele Facetten das Leben hier zu haben schien, wie viele Alternativen zu den Einbahnstraßen der Vergangenheit! Ich war dankbar und neugierig – und tanzte auf mancher Party.

Irgendwann begreift man, dass es auch in der Hauptstadt hübsch dekorierte Tempel der Borniertheit gibt, die sich dann eben kulturell/vertikal organisiert. Dass manch einer großstädtisch tut, sich vor allem aber einen Hintergrundwirbel aus bekannten Gesichtern und Trend-Lametta wünscht, vor dem die eigene Irrelevanz nicht so auffällt.

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Schatz, ich habe die Zukunft geschrumpft.

Neil deGrasse Tyson – wahrscheinlich einer der klügsten Köpfe auf dem Planeten und trotzdem eine unübersehbar coole Sau – hat vor kurzem in der Sendung des nicht ganz so coolen, gleichwohl von mir bewunderten Bill Maher gesagt, dass wir nicht mehr träumen. „Wir“ bezieht sich dabei oberflächlich auf eine US-amerikanische Gesellschaft, welche in einem Monat in Afghanistan jenes Geld verbombt, das man nicht in ein bis zum Geburtsschrei des Universums zurückschauendes Teleskop investieren will, aber gemeint ist wahrscheinlich letzten Endes der ganze Planet.

Verdient.

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Coming soon to a society near you: Das Ende der moralischen Neutralität

Premier Cameron will die britische Gesellschaft „reparieren“ – siehe hierzu aktuelle Meldungen im SPIEGEL und bei der BBC.

Ein Zyniker könnte nun zunächst einmal fragen, was hier eigentlich einer Reparatur bedarf: das Großunternehmen Gesellschaft (also die Gesamtheit aller Akteure; vom plündernden Kleindealer bis zum Arbeitsplätze vernichtenden Konzernführer) – oder vielleicht doch erst einmal besonders marode Teilbetriebe, die in letzter Zeit unangenehm aufgefallen sind; im Zweifelsfall dadurch, dass sie zur falschen Zeit mit den falschen Akteuren unter einer Decke erwischt wurden.

Man denke da an die Kuschelei der Londoner Polizeispitze mit News International beim Abhörskandal, an die Nonchalance, mit der sich Abgeordnete vom Volk ihre Hobbys und Landsitze finanzieren lassen und die (mit anderen Euro-Staaten geteilte) Unfähigkeit, den beiden unteren Dritteln des Volkes zu erklären, warum sie ökonomisch bis auf weiteres den Anschluss an den money train der globalisierten Welt verloren haben.

Wollte Cameron nun tatsächlich mehr tun, als seinem Volk einen eisernen Besen zu verordnen (während seine buddies allenfalls mit dem Wattebäuschchen gezüchtigt werden), könnte er sich an Phillip Blond wenden. Der ist wahrscheinlich einer der klügsten Köpfe des wertkonservativen Englands. Er hat für Cameron in Büchern, Think Tanks und Vorträgen das Modell einer „Big Society“ (mit-)entworfen, die sich wieder als Ganzes verstehen soll. Das Spektrum, das diese große Gesellschaft umfassen soll, ist beachtlich: Wertegemeinschaft, Kommunitarismus, Dezentralisierung, Förderung von Social Business, Datentransparenz. Bonus: [A society that will] „take power away from politicians and give it to people“.

Ja, liebe Leser, reiben Sie sich ruhig weiter die Augen:
All das stand im Jahr 2010 im Wahlmanifest der Konservativen.

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After the fire: Warum sich die Jugend nicht in der Politik sehen lässt

Wer ändert die Verhältnisse? Am ehesten jene, die wenig zu verlieren und alles zu gewinnen haben; vor allem die eigene Zukunft.

Von einer besseren Welt zu träumen, sollte für junge Menschen eigentlich ein Reflex sein. Jeder zwei Monate alte Tiger faucht wie ein Großer, jeder Achtjährige will zum Mond, (fast) jeder Fünfzehnjährige entdeckt, dass es Sex, Sinnfragen und Machtverhältnisse gibt (Reihenfolge und Priorisierung variieren im Einzelfall geringfügig). Der Verstand erwacht, und eine Stimme im Hinterkopf sagt: ‚Hey, das ist keine gute Welt; zumindest nicht für die Mehrheit der Menschen, die darin leben.‘ Daraus kann dann Einiges folgen – zum Beispiel eine Revolution, die schon nach dem ersten Akt den alten Pharao auf der Trage in den Gerichtssaal schleppt, damit das über Jahrzehnte betrogene und geschundene Volk ihm die Leviten lesen kann.

In einem lesenswerten Alternet-Artikel, den zu übersetzen ich nicht wenig Lust hätte, beschreibt nun der amerikanische Psychologe und Autor Bruce E. Levine, wie es das amerikanische Zweiparteiensystem geschafft hat, das Protest-Gen in der amerikanischen Jugend bemerkenswert effektiv zu unterdrücken – denn dort kämpft eine weitgehend apolitische, desillusionierte Generation vor allem darum, der Gegenwart etwas Sinn und Sicherheit abzuringen, zumal die Zukunft des hoch verschuldeten Landes bereits heute als verbrannte Erde erscheint.

Man könnte sich nun durch die Kernpunkte dieses Artikels arbeiten und versuchen, per Gegenüberstellung herauszufinden, ob das geringe Interesse deutscher Jugendlicher und junger Erwachsener zumindest am traditionellen Politikbetrieb in Deutschland vergleichbare Ursachen hat.

Das wäre ein trauriges Vergnügen.

„Irgendwas mit Zukunft“: Nicht noch ein Bock im Garten der Demokratie, bitte.

Der Medienunternehmer Konstantin Neven DuMont plant offensichtlich, eine Partei zu gründen. Die Pläne – vermeldet RP Online – seien „sehr ernsthaft“, gleichwohl es noch kein (öffentlich einsehbares) Programm gibt.

(Dass der Unternehmer als Name zunächst „Die Einheitspartei“ zur Debatte stellte, kann man hingegen amüsant, viel sagend oder meta-ironisch finden. Ich erlaube mir da keine Meinung.)

Meine zwei Cent zu diesem und ähnlichen Vorhaben:

Das politische Elend in Deutschland – die Mischung aus Apathie und Zynismus, das Fehlen verbindender Visionen – hat vor allem damit zu tun, dass Parteien als Großorganisationen gerade in Deutschland zu viel Macht haben. Sie entziehen einer Gesellschaft, in der es viel zu tun, zu diskutieren und zu ändern gäbe, immer mehr Substanz, indem sie anders organisierte gesellschaftliche Kräfte der Lächerlichkeit preisgeben oder diskreditieren, finanziell untergraben oder einfach totschweigen.

Parteien saugen Talent und Geld, Bedeutungshoheit und (vor allem in den etablierten Medien) mind share auf – und was im Gegenzug herauskommt, ist allzu oft erbärmlich: wahlweise rhetorische Nebelkerzen zu non issues oder Wohlfühlformeln aus den Presseabteilungen saturierter Golfclubs, die sich – sind sie erst mal im Bundestag angekommen – nicht viel geben oder nehmen. Was dieser vielschichtige Betrieb hasst, ist die in der Wirtschaft zumindest gern beschworene Agilität – also die Fähigkeit, schnell zu handeln, mit begrenzten Ressourcen eine Lösung zu liefern, die im laufenden Betrieb nachgebessert werden kann – und ggf. in die Tonne zu treten, was sich als nutzlos erwiesen hat.

(Der SPIEGEL hatte dazu vor ein paar Jahren einen lesenswerten Artikel, den herauszusuchen ich Ihnen und mir verspreche.)

Aber was sind Parteien auch für bequeme Einrichtungen; ein Ohrensessel ist nichts dagegen! Da macht man als Wähler sein Kreuzchen – und kann dann das Hirn wieder vier Jahre lang abschalten bzw. sich am Frühstückstisch über die selbst gewählten Missstandsverwalter empören. Auch für Menschen, die in der freien Wirtschaft zunächst nicht den angestrebten, gut dotierten Platz finden, bieten sie manches Tätigkeitsfeld. Da gibt es Gremien, Arbeitsgruppen, Hinterzimmer. Man kann mauscheln, intrigieren, an Stühlen sägen und Netzwerke schmieden, die im Sinne der Altersvorsorge gerne auch in die Wirtschaft hineinwuchernn dürfen – für manch einen schließt sich hier der Kreis auf finanziell erfreuliche Weise, wenn der enttäuschte Wähler ihn eines Tages nicht mehr wählen mag.

Kurz: Viel Raum für Dinge, die im Licht der Öffentlichkeit eher unschön aussehen, wenn sie – gelegentlich passiert es ja doch – ans Licht kommen.

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Gefährliche Gedanken, und die Namen dahinter

Hans-Peter Friedrich (CSU) ist Innenminister der Bundesrepublik Deutschland. Wie jeder andere Bundesminister hat er Einiges auf seinem Zettel stehen; darunter die Aufgabe, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.

Nun hat Herr Friedrich (wie beinahe jeder Innenminister; dieses Amt scheint eine gewisse Sorte Menschen magisch anzuziehen) recht spezifische Vorstellungen davon, wie die Sache mit der Schadensabwendung am besten zu bewerkstelligen sei. Und gelegentlich äußert er diese Vorstellungen auch mal vor einem Mikrofon. Anlass geben ihm in dieser Woche (wenig originell, aber mit hohem Aufmerksamkeitswert bei der eigentlichen Kernzielgruppe am süddeutschen Stammtisch) die Anschläge in Norwegen.

Mit der Anonymität im Internet – so sagt Herr Friedrich dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL – müsse es als Konsequenz dieser Bluttaten nun vorbei sein. Er fragt (und die Frageform soll den aufmerksamen Leser ja zum Nachdenken anregen): „Warum müssen ,Fjordman‘ und andere anonyme Blogger ihre wahre Identität nicht offenbaren?“

Herr Friedrich beklagt sich auch darüber, dass im Internet „jede Menge radikalisierter, undifferenzierter Thesen“ zu finden seien.

(Klare Sache: So etwas kann einem aufrechten Mann, der ein CSU-Parteibuch in der Tasche und die Sonne im Herzen trägt, nicht gefallen.)

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